Sonntag, 23. Februar 2014

Was treibt dich an?

Warum wir Dinge tun, andere nicht machen wollen und wieder andere nicht lassen können, beschäftigt Psychologen und Hirnforscher. Bei ihrer Suche nach dem Wesen der Motivation entdecken sie, was Geld, Fruchtsaft und erotische Bilder gemeinsam haben.


Jetzt noch nicht, denken morgens tausende Menschen und drücken die Schlummerfunktion ihres Weckers. Noch fünf Minuten schlafen. Arbeit, Schule, womit auch immer ihr Tag regulär beginnt, dazu haben sie keine Lust. Die Motivation ist auf dem Nullpunkt. Trotzdem schieben sich die meisten kurz darauf aus den Federn, schlurfen schlaftrunken in die Küche und kochen sich einen Kaffee. Warum eigentlich?
Hinter jedem Tun steckt ein Motiv. Der Begriff „Motiv“ stammt aus dem Lateinischen von „movere“ für „bewegen“. Ein Motiv versetzt uns in Bewegung und stachelt zum Handeln an. Oft gibt es nicht nur eine solche Triebfeder, sondern mehrere. Motivation ist die Gesamtheit der Motive, die einer Handlung zugrunde liegen. Und die treibende Kraft, die Menschen zu zielgerichtetem Verhalten veranlasst.

Motor des Handelns

Was die menschlichen Motive kennzeichnet, haben Psychologen in verschiedenen Motivationstheorien beschrieben. Grundlage der meisten dieser Theorien ist die Annahme, dass Motivation im Streben nach erwünschten und im Vermeiden von nicht wünschenswerten Zuständen besteht.
Bei diesen Zielen handelt es sich im simpelsten Fall um das Befriedigen überlebenswichtiger physiologischer Bedürfnisse. Also darum, Hunger und Durst zu stillen, sich bei Kälte zu wärmen, bei Hitze abzukühlen - und um die Fortpflanzung, die weniger für den Erhalt des Individuums, wohl aber für den der Art unabdingbar ist.
„Neugeborene lächeln, wenn ihnen ein Wattestäbchen mit Zuckerlösung in den Mund gesteckt wird und verlangen mehr“, erklärt Neurologe Markus Ullsperger von der Radboud-Universität Nijmegen. Die Zuckerlösung ist ein Reiz, der den Wunsch nach Befriedigung des Appetits aktiviert oder verstärkt, ebenso wie Essensgeruch, und so eine bestimmte Verhaltensweise, in diesem Fall etwas zu essen, wahrscheinlicher macht. Objekte, die überlebenswichtige primäre Bedürfnisse befriedigen, wie Nahrung, wirken von Geburt an und werden deshalb als primäre Verstärker bezeichnet.
Die motivierenden Ziele können aber auch erworben worden sein, wie etwa der Wunsch abzunehmen oder das Streben nach Geld oder Besitz. Die angestrebten Objekte - etwa ein Geldkoffer oder eine schnittige Motoryacht - werden sekundäre Verstärker genannt. Sie sind zunächst völlig neutral, bis gelernt wird, dass sie zur Befriedigung primärer Bedürfnisse herangezogen werden können. Wird diese Art des Lernens positiv genutzt, kann man Verhalten auch beeinflussen, und zum Beispiel Morgenmuffel dazu bringen, gern zur Schule zu gehen, weil sie wissen, dass sie ihnen gut tut.

Das Wichtigste in Kürze

  • Grundlage der Motivation ist das Streben nach erwünschten und das Vermeiden von unerwünschten Zuständen.
  • Manche Motive wie Essen oder Fortpflanzung sind angeboren, andere erlernt, etwa der Drang nach Geld oder Besitz.
  • Grundlage unserer Motivation ist die Aktivität des Belohungssystems und die Ausschüttung von Dopamin.
  • Sind Motive positiv besetzt, springt unser Belohnungssystem schon in der Erwartung ihrer an.
  • Die neuronalen Mechanismen der Motivation können auch zur Sucht führen.

Ich will, was du nicht willst

Was uns motiviert, ist von Mensch zu Mensch teilweise unterschiedlich. Der Psychologe Steven Reiss von der Ohio State University befragte über 7.000 Personen nach ihren Motiven und stellte dabei fest, dass zwar alle dieselben grundlegenden Motive haben (nach Reiss sind es 16 an der Zahl), dass jedoch die Stärke dieser Motive individuell variiert. Das heißt, jeder Einzelne gewichtet Ziele wie das Streben nach Ehre, Gerechtigkeit und Macht unterschiedlich. Auch die Frustrationstoleranz bei Misserfolgen etwa ist bei jedem Menschen anders. Sie zu überwinden, kann auch eine Motivation werden, etwa bei Leistungssportlern.
Die US-Psychologen John Barbuto und Richard Scholl unterteilen die Motive nach ihrem Ursprung in extrinsische und intrinsische. Intrinsisch motiviert sind Handlungen, die wir um ihrer selbst Willen oder aufgrund unserer persönlichen Vorstellungen und Maßstäbe ausführen. So musiziert die Pianistin aus bloßer Freude an der Musik, der Skifahrer rast die Piste hinunter, weil es ihm Spaß macht, oder jemand wird aus innerer Überzeugung Mitglied einer Gewerkschaft.
Dem gegenüber ist extrinsisch motiviert, wer sich bei seinen Handlungen von äußeren Umständen und Anreizen leiten lässt. Also beispielsweise einen Beruf nur aufgrund der Bezahlung annimmt oder ein Musikinstrument nur deshalb übt, weil er auf eine Orchesterkarriere hofft. Auch Normen und Rollenbilder führen oft zu extrinsisch motiviertem Verhalten. Manche Brautpaare entscheiden sich für eine Trauung mit weißem Brautkleid und Trauringen nur deshalb, weil dies in unserem Kulturkreis den konventionellen Vorstellungen von einer schönen Hochzeit entspricht.


Motivator Nummer 1 – Überleben und Reproduktion!

Für Evolutionsbiologen greift das bisher beschriebene Verständnis von Motivation allerdings zu kurz. Sie stellen die Triebfedern menschlichen Handelns in den übergeordneten Kontext der Darwinschen Evolutionstheorie: Letztendlich ist das biologische Ziel aller Lebewesen, zu überleben und sich zu reproduzieren.

Steinzeitmenschen mussten Feinde in die Flucht schlagen und sich gegen die Unbilden der Natur wappnen. Sie mussten essen, damit sie nicht verhungerten und sich im Winter um ein Lagerfeuer scharen, um nicht zu erfrieren. Diese und die meisten anderen Verhaltensweisen des Menschen werden zwar durch viele Einzelmotive angetrieben. Für Evolutionsbiologen steht aber letztlich das biologische Ziel des Überlebens und der Fortpflanzung dahinter. Um dies zu verdeutlichen, wird oft das Beispiel der Nahrungsaufnahme herangezogen.

Die Lust am Essen

Das Essverhalten folgt einem komplexen Wechselspiel zwischen Verdauungsorganen und Gehirn. Der Hypothalamus und die Medulla oblongata, die direkt über dem Halsende liegende Region des Stammhirns, empfangen neuronale und hormonelle Signale aus dem Magen-Darm-Trakt und erfahren so den Grad der Sättigung. Diese Informationen werden von den beiden für die Regulation von Nahrungsaufnahme und Energiehaushalt der Nahrungsregulation wichtigen Hirnstrukturen verarbeitet: Bei Hunger wird der Stoffwechsel in einen energiesparenden Modus gebracht; bei Sättigung stehen die Zeichen auf Verbrauch.
Das alleine bestimmt jedoch nicht, ob wir uns den Bauch vollschlagen oder ein Menü verschmähen. Alle durch ein Essen hervorgerufenen Sinneswahrnehmungen - vom Geruch bis zum Anblick der Nahrung - werden in Form ihrer elektrischen Signale an einen viszeraler sensorischer Cortex genannten Bereich der Hirnrinde weitergegeben. Dort werden beispielsweise der Geschmack im Mund und das Völlegefühl des Magens räumlich getrennt verarbeitet. Der viszerale sensorische Cortex wiederum ist eng mit dem Belohnungssystem im Gehirn verschaltet. Dieses spielt für motiviertes Verhalten generell eine zentrale Rolle – und damit auch für das Essen. Denn erst das Belohnungssystem beschert uns die Wonne am guten Geschmack, ebenso wie die Zufriedenheit, die sowohl das bloße Stillen des Hungers als auch ein Dinner in angenehmer Runde bereitet.
Der Quell der Freude setzt sich als Motiv fest: „Wenn ich in der Wüste zu verdursten drohe, trinke ich das scheußlichste Wasser gerne und suche diese Pfütze immer wieder auf, um meinen Durst zu löschen und zu überleben“, erklärt der Neurologe Niels Birbaumer von der Uni Tübingen. „Wenn mir das Essen in einem Restaurant exzellent schmeckt, gehe ich aufgrund dieses einmaligen Geschmackserlebnisses wieder und wieder dorthin.“ Viele Wege führen zu positiven Gefühlen wie Freude oder Zufriedenheit und werden so zu einer Motivation. Die gemeinsame Endstrecke ist dabei jedoch stets das Anspringen des Belohnungssystems.

Am Ende winkt der Lohn

Ob Lottogewinn, Sahnetorte oder Yoga – wenn wir uns nach bestimmten Dingen oder Zuständen sehnen, ist immer das Belohnungssystem mit von der Partie. Hirnscans zufolge hat es seinen Sitz im Mittelhirn sowie in einem innen liegenden Teil des Großhirns, dem Striatum. Besonders gut verstanden ist dabei das dopaminerge System als Bestandteil des Belohnungssystems. Bei unerwarteter Freude feuern die dopaminergen Neuronen salvenartig (burst firing) und schütten den Botenstoff Dopamin aus. Von diesem Zeitpunkt an springen dopaminerge Neuronen in Erwartung desselben Ereignisses immer wieder an. „Auf diese Weise treibt uns das dopaminerge System wieder und wieder zu den Orten hin, an denen wir schon einmal eine Belohnung in Form von Freude bekommen haben“, resümiert Birbaumer.
Dopamin ist allerdings nicht der einzige Botenstoff im Gehirn, der mit Motivation in Verbindung gebracht wird. Birbaumer unterscheidet das Phänomen des „Wollens“ von jenem des „Mögens“. Während das „Wollen“ über Dopamin vermittelt wird, gehen er und andere Forscher davon aus, dass das „Mögen“ über andere Botenstoffe - insbesondere Opiate und Endocannabinoide - hervorgerufen wird. Als Beispiele für „Mögen“ nennt Birbaumer den ästhetischen Genuss beim Betrachten eines schönen Bildes oder eines Sonnenuntergangs. Beides suchen die meisten Menschen nicht gezielt auf. Die Freude überkommt einen beim Betrachten unerwartet. Passionierte Galeriebesucher hingegen streben gerade nach diesen Momenten der Erbauung. Bei ihnen dürfte das Mögen in ein Wollen übergegangen sein und Dopamin in Erwartung neuer Gemälde in ihrem Gehirn anfluten.

Geld, Macht und Erotik

Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wurde inzwischen in zahlreichen neurowissenschaftlichen Studien untersucht, was uns motiviert und wo die Motivation im Gehirn zu verorten ist. Geld, die Aussicht auf Gewinn, erotische Fotos und attraktive Gesichter, aber auch wohlschmeckende Fruchtsäfte und soziale Anerkennung aktivieren in Gehirnscans stets das Belohnungssystem. Abhängig vom dargebotenen Reiz treten dabei aber subtile Unterschiede auf. Beispielsweise entdeckten der Neurowissenschaftler Jean-Claude Dreher und seine Kollegen vom Institut des Sciences Cognitives im französichen Bron 2010, dass der zum Vorderhirn gehörende orbitofrontale Cortex (OFC) unterschiedlich auf Bikinifotos und Geld anspricht. Erotische Reize aktivieren vor allem den hinteren Teil dieses Hirnareals – den so genannten posterioren lateralen OFC.
Dass dieser entwicklungsgeschichtlich recht alte Bereich des orbitofrontalen Cortex in diesem Fall reagiert, erklärt Jean-Claude Dreher damit, dass schon unsere vor hunderttausenden Jahren lebenden Vorfahren beim Anblick eines attraktiven, sexy Gegenübers freudig und motiviert reagierten. Oder, wie Evolutionsbiologen sagen würden, reagieren mussten – um das Überleben der Art zu sichern.
Der vorne, nahe der Augen liegende Teil des OFC – der anteriore laterale OFC - wird hingegen bei Aussicht auf finanziellen Gewinn aktiviert. Verglichen mit dem posterioren Teil ist er entwicklungsgeschichtlich relativ jung, was darauf hinweisen könnte, dass die Motivation durch sekundäre Verstärker wie Geld erst in jüngerer Zeit entstanden ist.
Eine weitere Erkenntnis der neurowissenschaftlichen Forschung lautet: Schon eine bloße Neuheit – etwas vorher noch nicht da Gewesenes, wie ein unbekanntes Bild – führt zu einer Aktivierung des Belohnungssystem. Dies belegt neurobiologisch, was Psychologen schon vielfach nachgewiesen haben: Neugier ist eine starke Motivation und eine der wichtigsten Triebfedern des menschlichen Verhaltens.

Gefährlich aufgeputscht

Manche Motive können auch zu Aktivitäten anstacheln, die der Gesundheit und dem Wohlbefinden schaden. Das ist etwa bei einer Sucht der Fall.  Sucht – Motivation zu schlechten Zielen Alle Drogen beschreiten im Gehirn dieselbe Endstrecke: In Erwartung von Kokain, Nikotin oder Alkohol wird massiv Dopamin im Belohnungszentrum freigesetzt. Süchtige leiden zugleich erwiesenermaßen unter einem Belohnungsdefizit. „Sie sind deshalb besonders empfänglich für den Drogenkick“, glaubt Christian Büchel vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Der Sucht liegt also gewissermaßen eine Schieflage des Motivationssystems im Kopf zu Grunde. Aber Hand aufs Herz: So manch einem hilft morgens erst die Aussicht auf einen starken Kaffee aus dem Bett. Und mit Koffein im Blut fällt es schon viel leichter, sich für den Tag zu motivieren.

"Triebfedern des Tuns" von Susanne Donner - gefunden im Internet auf www.dasGehirn.info – ein Projekt der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Neurowissenschaftlichen Gesellschaft e. V. in Zusammenarbeit mit dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe.

zeitlos
Die Wissenschaft der Gedankenführung - Nutze die Kraft deiner Gedanken.

Sonntag, 19. Januar 2014

Mentalisten: "Ich kann so denken wie du"

Mentalisten sind Unterhaltungskünstler, die ihr Publikum unter Anderem durch das Lesen von Gedanken unterhalten. Dabei verwenden diese Gedankenleser bestimmte Suggestionstechniken, um ihr Publikum in die Irre zu leiten. Seit es Menschen gibt, gibt es auch die Kunst des Täuschens. Doch Gedankenlesen ist mehr, Gedankenlesen ist eine Kunst.


Was geht bloß in dessen Kopf vor? Könnte ich nur sehen, was hinter seiner Stirn vor sich geht. Könnte ich nur seine Gedanken lesen. Seine Gedanken lesen - gar nicht so abwägig. Im Prinzip ist das durchaus möglich. Sie müssen insbesondere Lernen, sämtliche Signale des Gegenübers zu registrieren und richtig zu deuten.

Gedankenleser
Werbeplakat für die Darbietung eines Gedankenlesers, um 1900

Letztlich sind wir alle mehr oder weniger gute Mentalisten. Die Gedanken des Gegenübers richtig zu deuten gehört zu den wichtigsten menschlichen Fähigkeiten. So sind wir stets bemüht, die Absichten und Motive des Anderen richtig zu deuten, um angemessen darauf reagieren zu können. Somit ist das Gedankenlesen ein ganz elementarer Bestandteil der emotionalen Intelligenz.

Sind Sie im Gedankenlesen nicht geübt genug, so führt dies unweigerlich zu Missverständnissen und Konflikten. Deshalb ist es so wichtig, die entscheidenden Signale des Gegenübers zu registrieren und richtig einzuordnen. Das Gegenüber kommuniziert immer, ob verbal oder nonverbal.

"Man kann nicht nicht kommunizieren."
- Paul Watzlawick -

Es gibt Menschen, die das Entschlüsseln der bewussten und unbewussten Signale eines Menschen zu einer wahren Kunstform erhoben haben: die Mentalisten. „Ein Mentalist ist jemand, der mit Gedankentricks arbeitet. Er nutzt verbale und non-verbale Kommunikation, Zauberkunst, Psychologie und Gedankenmanipulation. Gedankenlesen ist eine Mixtur aus diesen Dingen – weder übernatürlich noch übersinnlich.“, so der amerikanische Mentalist Steven Banachek.

Der in Großbritannien derzeit populärste Mentalist Derren Brown bestätigt die Aussage von Steven Banachek, der als Ausbilder unzähliger Mentalisten gilt: „Mein Programm vereint Zauberkunst, Suggestion, Psychologie, Aufmerksamkeitslenkung und Präsentation. Ich führe die Menschen durch eine Mixtur all dieser Techniken."

Es gab bereits einen Post zu diesem Thema auf diesem Blog: "Wer weiß, was du denkst?"

Es gibt übrigens auch eine Fernsehserie zum Thema: The Mentalist, in der ein Mentalist mit seinen Fähigkeiten der Polizei beim Aufklären von Mordfällen hilft.

nutze es
gedankenführung.info


Donnerstag, 28. November 2013

Ich lerne, weil ich schlafe

Tagsüber pauken wir Vokabeln oder üben ein Klavierstück. Die darauf folgende Nacht entscheidet darüber, ob wir das Erlernte auch im Kopf behalten: Die richtige Form des Schlafs gibt dabei den Ausschlag. Das zeigen Forschungsergebnisse immer deutlicher.


viel geschlafen und viel gelernt
Ich muss nur das Chemiebuch unter das Kopfkissen legen, und wenn mich der Lehrer morgen in der Schulstunde fragt, dann beherrsche ich das Periodensystem perfekt. Als Kinder haben wir solche Mythen geglaubt – heute dagegen wissen wir, dass man nicht im Schlaf lernen kann. Oder doch? Natürlich müssen wir das Lehrbuch unter dem Kopfkissen hervorholen und darin lesen, von allein wandern die Informationen nicht in unser Gehirn. Aber damit das Wissen auch im Kopf bleibt, dafür ist der richtige Schlaf entscheidend. Das haben zahlreiche Experimente von Hirnforschern in den letzten Jahrzehnten gezeigt.

  • Studien zeigen, dass der Schlaf wesentlich dafür ist, dass sich das Gedächtnis bildet.
  • Im Schlaf zeigen sich dieselben Netzwerkaktivitäten im Gehirn wie während des Lernens am Tage. Forscher vermuten, dass sich durch eine solche Wiederholung die Erinnerung konsolidiert.
  • Für das deklarative Gedächtnis sind vor allem die Tiefschlafphasen wichtig. Handlungsabläufe und emotionale Ereignisse dagegen bearbeitet das Gehirn vor allem in den Traumschlafphasen.
  • Ohne den richtigen Schlaf kann sich ein Mensch emotionale Ereignisse nicht so gut merken. Forscher hoffen deshalb, traumatisierte Patienten behandeln zu können, indem sie unmittelbar nach den Erlebnissen den Schlaf entziehen.

Anschaulich wird dieser Effekt etwa bei einem Versuch, den Ines Wilhelm und Susanne Diekelmann im Jahr 2010 durchführten. Die Psychologinnen forschten damals bei einem der wichtigsten deutschen Schlafforscher, Jan Born, der kürzlich von der Uni Lübeck an die Uni Tübingen wechselte. Bei dem Experiment sollten Studenten Wortpaare lernen: zu Quadrat gehört Kreis, zu Flasche gehört Geist und so weiter. Anschließend sagten ihnen die Wissenschaftler, dass diese Wortpaare anderntags abgefragt würden. Eine Gruppe durfte schlafen, die andere nicht. Am nächsten Tag konnten sich die ausgeschlafenen Studenten wesentlich besser an die Wortkombinationen erinnern als die mit der durchwachten Nacht. Ähnliche Studien gibt es viele. Sie alle kommen zu dem Ergebnis, dass während des Schlafs etwas passiert, dass das Erinnerungsvermögen stärkt.
Doch warum ist das so? Einen Hinweis geben die Experimente der beiden Psychologinnen, denn sie testeten noch weitere Gruppen von Studenten nach demselben Schema, mit einer entscheidenden Abweichung: Die Probanden sollten zwar auch lernen, man verriet ihnen aber anschließend nicht, dass sie die Wortpaare am nächsten Tag wissen mussten. Vielmehr dachten sie, es stünde ein komplett anderer Test auf dem Programm. Das Ergebnis: Die Probanden konnten sich schlecht an die Wortpaare erinnern – auch diejenigen, die ausreichend  geschlafen hatten. Was war passiert? Die Studenten hatten sich mit dem gleichen Engagement die Wörter eingeprägt, also kamen wohl in ihren Gehirnen die gleichen Informationen an. Danach kamen sie in den Genuss von Schlaf, der doch für gutes Erinnern so wichtig ist. Dennoch versagten sie am nächsten Morgen. Der Unterschied allein war, dass sie davon ausgingen, sie brauchten das Gelernte nicht mehr. „Das ist möglicherweise die wichtigste Funktion des Schlafes“, sagt Susanne Diekelmann. „Wir treffen von all dem Input des Tages eine Auswahl: Das Wichtige wird ins Langzeitgedächtnis übertragen, das Unwichtige nicht.“

Spezialisierte Zellen rekapitulieren die Informationen des Tages

Mittlerweile haben Forscher eine Vorstellung davon, welche Prozesse dabei im Gehirn ablaufen. Am besten untersucht ist das so genannte deklarative Gedächtnis. Damit beschreiben die Wissenschaftler die Fähigkeit, sich Fakten zu merken, etwa die Wortpaare aus dem oben genannten Experiment. Für diese Form von Gedächtnis gelang den US-Forschern Matthew Wilson und Bruce McNaughton bereits in den 1990er Jahren ein Durchbruch. Sie ließen Ratten eine neue Umgebung – etwa ein Labyrinth – erkunden. Dabei zeigen, das war bereits bekannt, einige Nervenzellen im Hippocampus eine auffällige Aktivität. Die Zellen heißen ‘place cells’, denn mit ihrer Hilfe wird eine Art Landkarte im Gehirn gespeichert. Die beiden Forscher konnten für einen Weg, den eine Ratte im Labyrinth ging, ein Aktivitätsmuster dieser besonderen Zellen aufzeichnen. Und genau dieses Muster fanden die Forscher wieder, während die Ratten schliefen. Die place cells rekapitulierten also in der Nacht die Informationen von den Orten, die am Tag besucht worden waren.
Dieses Phänomen haben zahlreiche Forscher inzwischen auch bei anderen Formen der Erinnerung wiedergefunden: Netzwerkaktivitäten, die während des Lernens sichtbar sind, treten in ähnlicher Form beim Schlafen auf. Viele Wissenschaftler vermuten, dass über den Mechanismus ein am Tag erlebtes Ereignis erst konsolidiert und dann ins Langzeitgedächtnis übertragen wird. Besonders beim deklarativen Lernen scheint dabei der Hippocampus eine wichtige Rolle zu spielen. „Man kann sich diese Hirnregion wie einen Zwischenspeicher vorstellen“, sagt Susanne Diekelmann. „Wenn wir etwa Vokabeln lernen, dann sind viele verschiedene Bereiche des Neocortex aktiv. Bis wir schlafen, merkt sich der Hippocampus, dass diese Einzelteile zusammengehören. In der Nacht dann löst die Hirnregion die gleichen Cortex-Aktivitäten aus. Vermutlich werden dort erst die Einzelinformationen als eine zusammenhängende Episode abgespeichert.“

Traum und Gedächtnis

Viele Wissenschaftler vermuten mittlerweile, dass im Schlaf die Ereignisse des Tages im Gehirn rekapituliert werden und auf diese Weise das Gedächtnis gebildet wird. Wer zum ersten Mal von dieser Theorie hört, der könnte denken: Aha, das erklärt auch, warum wir träumen. Wir bekommen einfach während des Schlafes mit, dass wir das zuvor Erlebte im Geiste wiederholen. Doch so einfach ist es wohl nicht. „Ob Träumen etwas mit der Gedächtnisbildung zu tun hat, ist schwierig zu sagen, da scheiden sich die Geister“, so Susanne Diekelmann. Dagegen spricht, dass – zumindest für das deklarative Gedächtnis – diese Rekapitulation ausgerechnet in der Schlafphase stattfindet, in der wir am wenigsten träumen: im Tiefschlaf. Dann kann man die Aktivitäten des Hippocampus sogar im Elektroenzephalogramm (EEG) messen: Bestimmte Muster, so genannte ‘sharp wave ripples’, gehen in der Schlafphase von dieser Hirnstruktur aus.
Welchen Einfluss die Schlafphasen auf das Lernen haben, zeigt eine Studie, die Jan Born bereits 1997 durchführte. Dabei untersuchte er die Schlafphasen bewusst nicht einzeln. Schließlich bedeutet es für die Probanden großen Stress, ständig aufgeweckt zu werden – eine Tatsache, die sich auch sehr schlecht aufs Lernen auswirkt. Stattdessen ließ er eine Gruppe – die Frühschläfer – von 23 Uhr an drei Stunden schlummern und weckte sie dann auf. Die andere Gruppe – die Spätschläfer – durfte erst von drei Uhr an nächtigen und wurde um sechs Uhr geweckt. Durch diesen Versuchsaufbau konnte Jan Born den Effekt der Schlafphasen auf das Lernen eingrenzen. In den drei Stunden hatten zwar beide Versuchsgruppen den natürlichen Wechsel der Schlafphasen. Die Frühschläfer erlebten dabei aber – das konnten die Forscher im EEG kontrollieren – vor allem Tiefschlafphasen. Bei den Spätschläfern dagegen dominierte der Traumschlaf. Ihn bezeichnet man auch als REM-Schlaf, da sich dabei die Augen schnell hin und her bewegen (Engl. Rapid Eye Movement, REM).
Testete man das deklarative Gedächtnis, dann schnitten die Frühschläfer sehr viel besser ab als die Spätschläfer – ein Ergebnis, das zu den oben genannten neurophysiologischen Messungen passt: Faktenwissen wird wohl vor allem in Tiefschlafphasen konsolidiert. Anders sieht die Sache bei dem so genannten prozeduralen Gedächtnis aus, das für das Erlernen von automatisierten Handlungsabläufen wie Klavierspielen wichtig ist. Hier waren die Spätschläfer sehr viel erfolgreicher. Bei dieser Lernform sind also wohl vor allem die REM-Phasen wichtig.
Wie schon erwähnt, erlebten bei dem Versuchsaufbau alle Probanden den natürlichen Wechsel der Schlafphasen. Wie sich später herausstellte, könnte das wesentlich gewesen sein: Susanne Diekelmann und Jan Born haben 2010 in einem Übersichtsartikel viele Studienergebnisse zusammengetragen und kommen zu der Vermutung, dass das Gedächtnis gerade durch den Wechsel der Schlafphasen gebildet wird.

Emotionen setzen sich während der REM-Phase fest

Bei den bereits genannten Experimenten achteten die Forscher jeweils darauf, möglichst wenige Emotionen bei den Lernenden auszulösen, denn diese machen die Situation komplizierter: Schließlich sind dann sehr viel mehr Hirnbereiche einbezogen. Auf der anderen Seite weiß man aber, dass Gefühle unser Gedächtnis ganz wesentlich beeinflussen. Eine Geschichte etwa, die unser Herz anrührt, brauchen wir nur einmal zu lesen und schon haben wir sie uns gemerkt. Eine Gebrauchsanweisung dagegen, die keine Gefühle bei uns auslöst, müssen wir jedes Mal wieder herausholen, wenn wir etwa den DVD-Player programmieren wollen.
In einer Studie von 2001 testete das Team um Jan Born daher, wie der Schlaf sich auf emotionale Erinnerungen auswirkt. Probanden bekamen zutiefst aufwühlende Texte zu lesen, etwa die minutiöse Schilderung eines Kindsmordes. Wieder durften manche Versuchsteilnehmer ab 23 Uhr für drei Stunden schlafen, andere erst in den Morgenstunden. Eine dritte Gruppe musste die gesamte Nacht durchwachen. Letztere konnte sich anderntags kaum erinnern, den Frühschläfern gelang das ein wenig besser. Mit Abstand am besten schnitten die Spätschläfer ab, die also vor allem in den Genuss des Traumschlafes gekommen waren. Sie wussten noch viele Details der fürchterlichen Geschichten – sogar noch vier Jahre später. Emotionale Erlebnisse – das bestätigten spätere Studien – werden im Wesentlichen während der REM-Phasen konsolidiert und ins Gedächtnis übertragen.
Ein Ergebnis, das übrigens vollkommen gegen eine Theorie von Sigmund Freud spricht. Der Begründer der Psychoanalyse glaubte, dass Träume eine reinigende Wirkung haben, sich also Wut, Angst und Sorgen in der Nacht verflüchtigen. Diese Idee ist auch in der Küchenpsychologie weit verbreitet: „Schlaf mal drüber, danach sieht die Welt viel besser aus!“, ist ein wohl gemeinter Rat. Aber nicht immer ein guter, zumindest nicht direkt in der Nacht nach einem möglicherweise schlimmen oder gar traumatischen Erlebnis. Heute diskutieren Psychologen und Neurowissenschaftler, ob sich nicht erst im Schlaf hoch emotionale Erlebnisse im Kopf festsetzen. Eine Erkenntnis, die möglicherweise auch Menschen helfen könnte, die Schreckliches durchleiden mussten: Vielleicht können sie damit besser umgehen, wenn sie in der Folgenacht nicht schlafen – so zumindest die Theorie mancher Forscher.
Ob wir es nun wie im Falle des Paukens begrüßen oder im Falle von schlimmen Erlebnissen verfluchen mögen: Die Nachtruhe kann unser Erinnerungsvermögen schärfen. Im Schlaf zu lernen, ist also in einem ganz wörtlichen Sinne durchaus möglich.